Zwölfter Zuktur, 1320
Geschätztes Tagebuch,
Die letzte Nacht war leider wenig erholsam. Es war meine erste außerhalb der Stadt, alleine im dunklen Wald. Ich war einige Mannshöhen über Boden angebunden an einem Baum. Überflüssig zu erwähnen, dass diese Position wenig Komfort bot. Schlaflos schweiften meine Gedanken, dabei erinnerte ich mich daran, dass dieser Wald früher Runenwald genannt wurde. Der Legende nach haben Waldelfen in den Borken Runen verborgen, die im Mondlicht zu glühen beginnen. Als die Wolken den Mond freigaben, habe ich vergeblich nach einem Leuchten Ausschau gehalten.
Die Nacht war erfüllt von Schreien. Ich hoffte, nein, ich hoffe, dass diese lediglich von Tieren des Waldes kamen. Es raschelte und knackte von allen Seiten. Das Mondlicht spiegelte sich in den Augen von schemenhaften Konturen, die mich aus der Dunkelheit anstarrten.
Bei Morgengrauen fiel ich schlussendlich doch noch in einen unruhigen Schlaf. Dabei träumte ich davon, vom Baum zu fallen und mich selbst mit dem Seil zu erhängen. Ich schrak aus dem Traum hoch und wäre das Seil nicht gewesen, wäre ich tatsächlich vom Baum gefallen. Definitiv nicht die erholsamste Nacht meines Lebens.
Nach diesem Traum war das Weiterschlafen unmöglich geworden. Meine Augen bissen und mit steifen Händen rieb ich mir den Schlaf aus den Augen. Ich massierte vorsichtig meine Hände und Beine damit das Blut anfing zu zirkulieren. Nicht, dass der Traum sich noch bewahrheiten würde. Danach öffnete ich den Knopf im Seil, ließ dieses zu Boden fallen und kletterte stöhnend den Baum hinunter. Die letzte Manneshöhe sprang ich. Endlich konnte ich mich wieder strecken.
Die Nacht hatte ich einige Meter abseits vom Weg verbracht. Daher hörte ich das Hufgetrappe sehr spät. Vorsichtshalber duckte ich mich dennoch tiefer ins Dickicht und fragte mich, ob meine Familie vielleicht doch nach mir suchte? Doch die Reiter zogen an mir vorbei. Leider konnte ich sie nicht erkennen. Ich zuckte mit den Schultern und entschied, dass es wahrscheinlich besser sei, vorerst vom Weg wegzubleiben. Doch wenn ich nicht dem Weg folgte, wohin sollte ich dann sonst gehen?
Es ist schwierig sich zu entscheiden in welche Richtung man laufen möchte, wenn man kein Ziel hat. Gegen Osten wird der Wald dichter und dunkler. Es soll dort Eulenbären und weitere Ungetüme geben, denen ich lieber nicht begegnen möchte. Jedoch sollen sich hinter dem Wald einige Dörfer befinden. Im Westen liegt Malbaliran, dorthin möchte ich sicher nicht zurück. Im Norden liegt ein Gebirge. Das Land dort ist karg und es gibt wenig zu Nahrung. Die Siedler dort sollen sehr feindselig Fremden gegenüber sein. Im Süden hinter dem Wald gibt es endlose Grasflächen durch die Nomand mit ihren Viehherden ziehen. Die Chance Nomaden zu finden ist so gross, wie einen vollen Geldbeutel auf der Straße. Ich könnte natürlich auch einfach ziellos im Wald umherirren und darauf hoffen den Hirschmann zu finden, aber das erscheint mir inzwischen wirklich sinnlos. Nach langem Überlegen entschied ich mich nach Süden zu gehen.
Ich habe die Hoffnung dem Hirschmann zu begegnen nicht aufgegeben, aber ich glaube ihn zu suchen wird keinen Zweck haben. Ich muss meinen Weg gehen und, sofern die Götter es wollen, werden sich unsere Wege kreuzen.
Frohen Mutes bahnte ich mir meinen Weg durch den Wald. Ich kam nur sehr langsam voran. Ich musste bei jedem Schritt darauf achten wohin ich trat. Mehrmals blieb ich an Brombeerdornen hängen. Ich musste mich mühsam davon lösen, wollte ich die Kleider nicht zu fest zerreißen. Trotzdem blieb mir genügend Zeit die Welt um mich herum zu beobachten. Ich sah Pflanzen, welche ich nie zuvor gesehen hatte. Blumen, die auf Ästen wachsen, ihre Wurzel in der Luft schwebend. Bäume die so groß waren, dass ich die Kronen nicht mehr sehen konnte und so breit, dass sogar ein Oger den Stamm nicht umfassen konnte. Ich sah Eichhörnchen, die geschickt die Samen aus den Tannenzapfen schälten. Vogelgezwitscher erfüllte den Wald und bunte Schmetterlingen flogen von Blume zu Blume. Immer wieder sog ich die Luft tief in meine Lunge ein und spürte wie sich eine innere Anspannung löste. Ich hoffe irgendwann mehr als nur ein Besucher von diesem Wald zu sein.
Ich kam am heutigen Tag nicht sehr weit, obwohl ich fast ohne Unterbruch immer auf den Beinen war. Jetzt sitze ich wieder, festgebunden an einen Baum. Meine Tagesrationen haben sich bereits halbiert. Bald werde ich mir meine Nahrung aus dem Wald beschaffen müssen. Bis dahin wünsche ich aber eine gute Nacht.
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