Dimitri schaute Ella hinterher. Im Takt mit ihren Hüften schwang ihr schneeweißes Haar. Mit dem Ausbleichen ihrer Mähne hatte immer mehr der Wahnsinn von ihr Besitz ergriffen. Pha, Wahnsinn! Dieses vermaledeite Buch war es gewesen, das Ella verdorben hatte.
„Lass sie gehen.“ Edvard legte ihm von hinten brüderlich die Hand auf die Schulter.
„Sie läuft in ihr Verderben.“
„Du bist nicht ihr Aufpasser“, schnaubte Loren.
Dimitri ersparte sich eine Antwort und ließ sich von seinen Freunden wegziehen. Zu gern hätte er Ella das Buch entrissen. Edvard hatte recht, aus diesem Strudel musste sie selbst entfliehen.
Ella hörte die Worte ihrer ehemaligen Gefährten hinter ihrem Rücken. Eine einsame Träne kullerte ihr über die Wange. Sie wollten es nicht verstehen. Sie streckte ihren Rücken durch und stolzierte ohne einen Blick zurück davon.
Ihr Weg führte sie durch den Wald zurück in das Gewölbe, in dem sie Silvinar vor Wochen ermordet hatten. Sie hatte ihren Freunden ihre Erkenntnisse erläutert, aber sie waren nicht bereit gewesen, das Richtige zu tun. Gewiss, der Magier war verrückt gewesen, das stimmte. Zudem war er mächtig gewesen, auch das war korrekt, aber er hat niemandem etwas angetan. Abgesehen davon, aus dem Nichts auf dem Dorfplatz zu erscheinen, ein paar Vorräte zu kaufen und wieder zu verschwinden.
Loren hatte auf ihre Argumentation erwidert; „Wäre er so unschuldig gewesen, hätte er uns nicht gleich angegriffen.“ Loren, die immer mit dem Schwert in der Hand schlief, damit sie für alle Fälle vorbereitet war.
Sie schob einen Ast zur Seite und die Finsternis des Gewölbeeingangs fletschte ihre Zähne. Nackte Angst fuhr ihr in die Glieder. Der Eingang versprach all das, wovor sie sich fürchtete, Dunkelheit, Einsamkeit und Enge. In diesem Fall waren ihre Sorgen gerechtfertigt, hatten sie doch nur den Teil des unterirdischen Labyrinths, der in die Höhle mit Silvinars Leiche führte, erforscht. In den anderen Gängen konnten weiterhin unzählige Monster lauern. Ella spannte ihre Muskeln und bereitete einen Teleportationszauber vor. Sie würde sich nicht auf einen Kampf einlassen, aber damit könnte sie einen Angreifer genügend lang verwirren, um zu fliehen. Das Buch an ihre Brust gedrückt, schritt sie zum Eingang.
Das Gewölbe führte sie in den Untergrund. Sie erschuf eine magische Kugel, die ihr Licht spendete. Ein tröstliches Licht. Kein Wunder, war Silvinar hier unten verrückt geworden. Alleine im Dunkeln. Eine Zeile aus dem Buch schlich sich in ihre Erinnerung.
„Dunkelheit, du elender Freund. Frisst mich auf und spendest Trost. Nur hier bei dir sind die Gedanken so frei und wild, wie sie es sein sollten.“
Wie recht er damit hatte. Ihre eigenen Schrittgeräusche erzeugten in ihrem Kopf Bilder von Monstern, die um jede Ecke lauerten. Der Atem eines Albes im Nacken entpuppte sich als milder Windhauch.
Wild wurden ihre Gedanken, aber keineswegs rational.
Sie betrat jene Höhle, in der vor wenigen Tagen der Kampf stattgefunden hatte. Silvinars Körper lag immer noch in zwei Hälften geteilt auf dem Steinboden. Das Blut war zu einer braunen Kruste getrocknet und Ellas Mund verzog sich zu einer Grimasse, als sie bemerkte, wie Maden aufgeschreckt vom Licht ihrer Kugel in den Wunden der Leiche Schutz suchten. Der süßliche Gestank von Verwesung hing in der Luft. Schnell verwarf sie ihren ursprünglichen Gedanken, Silvinar draußen im Wald zu begraben. Um nichts in der Welt würde sie diesen Klumpen anfassen. Ein Steingrab würde es auch tun.
Fortsetzung folgt …
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