Seine Krallen sanken in die weiche Masse ein. Wie eine quellende Wolke begrub der Schnee seine Füße. Die Kälte stach ihn wie Nadelspitzen. Herrlich. Sein erster Schnee. Vielleicht war er sogar das erste Echsenwesen überhaupt, das im Schnee wandern ging. Wandern, ohne auszutrocknen, ein echtes Novum. Der beißende Eiswind war sein stetiger Begleiter. Lieber dieser Wind als das schwüle Wetter des Dschungels. Eine weitere willkommene Abwechslung war das kühl bleibende Wasser in seiner Trinkflasche. Zuhause war Trinkwasser innert weniger Minuten schal.
Janis schaute zurück. Er war seit Monaten unterwegs und sein Weg war noch lange nicht zu Ende, aber jetzt ging es endlich aufwärts. Wortwörtlich. In der Nähe des Gipfels sah er die Lichter einer Siedlung. Sofern seine Angaben korrekt waren, musste es sich um eine der ersten Zwergensiedlungen handeln. Wer, wenn nicht sie, wüssten um das Geheimnis?
Er hob seinen Fuß und stampfte durch den Schnee seinem Ziel entgegen.
Mit Schwung stieß er die Tür auf. Eine stickige Hitze verschlug ihm den Atem. Einen Moment lang zögerte er und spielte mit dem Gedanken, wieder nach draußen in den Schnee zu gehen. Der Fiedler verspielte sich und schaute ihn an, als ob er einen Geist gesehen hätte. Die Gäste fingen an zu tuscheln und wurden nur vom Knistern des Feuers übertönt. Wörter wie schwarze Magie und Teufel drangen Janis an die Ohren. Einige Zwerge griffen nach ihren Talismanen oder Waffen. Er vermied es zu grinsen. Dabei würden seine Haifischzähne blitzen, was von Warmblütern oftmals negativ aufgenommen wurde.
Unerschrocken schlenderte Janis zum Tresen und setzte sich. „Ein Bier und ein Bett für die Nacht.“
„Aye. Zwei Gold.“
Janis Mund wurde trocken. Die Legende der raffgierigen Zwerge war in keinster Weise eine Übertreibung gewesen.
„Wieviel kostet das Abendbrot?“
Der Zwerg grunzte ihn an.
„Dann nehme ich das. Aber bitte ohne Schleim.“
Der Zwerg grunzte ein zweites Mal und nickte. Er zapfte ihm ein Bier und wartete mit dem überschäumenden Krug in der Hand. Janis kramte in seiner Tasche und legte zwei Goldstücke und drei Silberlinge auf den Tresen.
„Hmpf.“ Der Zwerg sackte das Geld ein und stellte das Getränk vor ihm ab.
Janis nippte daran. Der Schaum war wie eine Wolke, die auf seiner Zunge verging. Das Bier hatte einen herben Geschmack und wärmte ihn von innen. Ehrfürchtig stammelte er: „Die Legenden werden dem Zwergenbier nicht gerecht.“
Der grimmige Gesichtsausdruck des Zwergs glättete sich. Wenn es Janis nicht besser gewusst hätte, würde er glauben, unter dem Bart des Zwergs den Anflug eines Schmunzelns wahrzunehmen.
Der Fiedler hatte seine Musik wieder aufgenommen und trällerte ein Lied von einem Bergtroll, der sich in eine Orkdame verliebte. Mit grölendem Getose sang der ganze Schankraum mit.
Janis beobachtete das Treiben von seinem Platz aus, bis sein Blick den eines anderen Zwerges kreuzte. Janis prostete ihm zu.
Der Zwerg erhob sich und schlängelte sich zu ihm an den Tresen.
Janis grinste ihn an, wobei er eine Reihe Reißzähne entblößte. Er sah, wie die Hand des Zwerges zu seinem Gürtel glitt und nach seinem Dolch tastete.
Janis verkniff sich sein Lächeln. Dämlicher Warmblüter. „Ein Bier für diesen Herrn.“
Seine Bestellung wurde mit dem üblichen Grunzen beantwortet. Wieder stellte der Wirt den Krug erst hin, nachdem Janis die Münzen auf den Tresen gelegt hatte.
Was für eine misstrauische Person.
„Was führt denn einen wie dich durch den Schnee?“, fragte der Zwerg, ohne sich vorzustellen oder an seinem Bier zu nippen.
„Werter Unbekannter, ich bin hiern um euer Geheimnis zu ergründen.“
„Meines?“, quiekte der Zwerg durch seinen Bart. Unverzüglich gewann er wieder die Fassung und brummte: „Ich habe keine Geheimnisse.“
„Schon klar. So meinte ich das nicht. Darf ich erfahren, wer mich mit einem Gespräch ehrt?“
„Mein Name ist Kimtzi und ich mag deine geschwollene Art zu reden nicht.“
„Freut mich, Kimtzi, ich heiße Janis und ich mag Schnee.“
Kimtzis Bart zuckte. „Welches Geheimnis?“
„Ach so ... Ja. Ich meinte nicht dein persönliches Geheimnis, sondern das eures Volkes.“
„Du bekommst unser Zwergenbierrezept bestimmt nicht. Vorher rasier ich mir den Bart“, grunzte der Zwerg hinter dem Tresen, während er Krüge abtrocknete.
Janis verschluckte sich. „Was? Euer Bier?“ Eilig stellte er sein Getränk ab und verfehlte dabei den Tresen.
Der Krug fiel scheppernd zu Boden, begleitet von Kimtzis Aufschrei: „Das gute Bier!“
Fortsetzung folgt …
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