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AutorenbildSamarraLeFay

Das Geheimnis des Schnees - Teil 4

Janis setzte sich an seinen Tisch. Mit geschlossenen Augen befühlte er dessen Rillen und Maserungen. Jede Vertiefung stand für eine andere Geschichte und er konnte sie lesen wie ein Buch.

Wie von Zauberhand erschien ein Bier vor ihm. Er kramte in seiner Tasche. Rindur schüttelte unmerklich den Kopf. Der Lauf der Zeit hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen. Inzwischen war sein Bart grau und sein Nacken steif geworden.

Es war früh am Abend. Niemand spielte Musik. Einige Zwerge saßen in der Ecke und steckten ihre Nase zu tief ins Glas.

Ihm gegenüber setzte Rindur sich mit einem Ächzen. „Es ist lange her ...“

Janis lächelte breit und seine noch immer messerscharfen Zähne blitzten. „Ach, die Kindeskinder halten mich auf Trab. Du weißt wie es ist."

Rindur lachte auf. „Nein, zum Glück nicht. Dieses kleine Fass ...“, er klopfte damit demonstrativ auf seinen Bauch, „... ist und bleibt vogelfrei.“

Janis nippte an seinem Bier. Der malzige Geschmack kitzelte ihn auch nach all den Jahren auf der Zunge. Unter der bekannten Note mischte sich etwas Neues. Skeptisch nahm er einen weiteren Schluck. „Hast du Nelken in das Bier getan?“

„Gut, nicht?“ Rindur strahlte.

„Gewöhnungsbedürftig.“ Wenn ich es zügig trinke, spült es hoffentlich den Geschmack weg.

„Wann wird Kimtzi hier sein?“

„Wie kommst du darauf, dass ich mich mit ihm treffe?“

Rindur schnalzte mit der Zunge. „Jetzt komm. Du schaust selten genug vorbei und wenn, dann nur wenn du eine Verabredung mit Kimtzi hast.“

Janis entging der unausgesprochen Vorwurf nicht. Er hob abwehrend die Hände. „Schuldig im Sinne der Anklage.“ Prompt wechselte er das Thema. „Was hast du heute in deinem Topf? Vielleicht kann ich das Warten mit Essen überbrücken.“

Die Tür zur Taverne öffnete sich. Schnee wehte ins Innere und hinterließ bei Janis einen frostigen Schauer. Ein Zwerg, der nur einen Flaum im Gesicht hatte, stampfte herein. „Schnaps! Und zwar den guten, nicht das Säuglingszeug der Elfen“, quakte er.

„So wie du dich verhältst, scheint sogar dieses zu stark zu sein“, murmelte Janis vor sich hin.

Rindur grinste breit und stand auf. „Geld?“, grunzte er.

Der Jüngling kramte in seiner Tasche und warf einige Goldmünzen auf den Boden.

Rindurs Grinsen gefror. „Heb das auf, leg es auf den Tresen und ich vergesse das Ganze“, raunte er.

Janis musste sich ein Kichern verkneifen. Er würde um nichts in der Welt mit Rindur einen Streit anfangen wollen. Da wurde man hier des Lebens nicht mehr froh.

Der Jungspund stand einen Moment wie eingefroren da. Janis konnte sehen, wie es in ihm ratterte. Stolz gegen Vernunft. Zu seinem Glück gewann Letzteres. Er hob die Münzen auf und legte sie auf den Tresen. Erwartungsvoll schaute er zu Rindur. Dieser zog eine Augenbraue in die Höhe und machte keinen Wank.

Seufzend kramte der Zwerg in seiner Tasche nach mehr Münzen und legte diese zu den anderen auf den Tresen.

Rindur grunzte und schlurfte hinter den Tresen. Er sackte die Münzen ein und nahm eine durchsichtige Flasche vom Regal.

„Hey ... ich habe gesagt nicht diese Elfen ...“

„Das gute Zeug ist für Freunde des Hauses. Nimm die Flasche oder verschwinde.“

„Aber mein Gold?“

Rindur zuckte mit den Schultern. „Schmerzensgeld für deine Beleidigung.“

Der Zwerg schnappte sich die Flasche und verzog sich in eine Ecke neben dem Kamin.

Janis suchte den Blickkontakt mit Rindur. Dieser strich sich über seinen Bauch und grinste ihn frech an. Janis wusste, was er damit sagen wollte. Lieber frei sein, als andauernd so einen Bengel am Hals zu haben.

„Essen?“, fragte Janis.

„Kaninchenstew mit Bratapfel.“

„Klingt gut, nehme ich.“ Rindur nickte.

Janis nippte an seinem Getränk und beobachtete Rindurs Treiben. Je mehr er von dem Bier trank, desto deutlicher schmeckte er die Nelken. Widerlich.


Fortsetzung folgt …




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