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AutorenbildSamarraLeFay

Der Fremde am Strand

Aktualisiert: 24. Juli 2022


Kouri beobachtete das beruhigende Schauspiel der sich brechenden Wellen. Es war noch früh am Morgen, daher wehte eine angenehm kühle Brise, die den salzigen Geruch des Meeres mittrug. Dieser Geruch bedeutete für Kouri Heimat.

Kouri liebte die Brandung. Sie erinnerte ihn an früher, als er noch jünger gewesen war. Mit Begeisterung war er damals über die brechenden Wellen gehüpft, bis er müde wurde. Danach war er an den Rand der Brandung gestanden und hatte beobachtet wie die Gischt seine Füsse bedeckte. Er hatte sich ein Spiel daraus gemacht zu warten bis die Brandung seine Füsse unterspült hatte, so dass er den Halt verlor und in den Sand plumpste.

Aber das war früher. Jetzt war er kein kleines Kind mehr, wie sein Vater zu sagen pflegte. Daher wollte er seinen Beitrag leisten. Er kam nicht mehr zum Strand um alberne Spiele kleiner Kinder zu spielen, sondern um Krebse zu sammeln. In seinem Kessel krabbelten bereits zwei grosse Krebse. Sie waren bestimmt grösser als seine Hand. Wenn er noch einige weitere finden würde, hätten sie heute ein gutes Abendessen.

Krebse waren eine von Kouris Leibspeisen. Aber wenn seine Mutter diese kochte, wollte er lieber nicht in der Nähe sein. Sie kochte sie bei lebendigen Leib. Nur schon beim Gedanken daran, lebendig gekocht zu werden, rollten sich ihm die Nägel auf. Aber die Krebse gaben keinen Laut von sich. Stumm versuchten sie verzweifelt aus dem Topf zu fliehen. Aber keiner hatte es jemals geschafft.

Kouri suchte fleissig den ganzen Strand nach Krebsen ab. Unerwartet hörte er in der Ferne mysteriöse Geräusche. Kouri kamen diese Geräusche bekannt vor. Damals, als sein Vater ein Loch ausgehoben hatte, um ihren Hund zu beerdigen, klang es ähnlich. Aber es machte keinen Sinn, dass jemand ein Loch am Strand grub. Die Flut würde das Loch innert eines Tages wieder zu schwemmen. Warum bloss würde jemand am Strand ein Loch graben? Vielleicht wollte jemand etwas verstecken. Kouris Neugier war entfacht.

Das Land am Strand war flach. Bereits nach wenigen Schritten konnte er von Weitem zwischen den Palmen einen Mann erkennen, der knietief im Sand stand. Der Mann musste schon lange am Graben sein. Kouri huschte von Palme zu Palme. Immer darauf bedacht, vom Grabenden nicht gesehen zu werden.

Endlich war er nahe genug, um den Mann genauer betrachten zu können. Dieser hatte sonnengegerbte Haut, eine sehr grosse hakenförmige Nase und seltsam runde Augen. Wie die eines Kugelfisches. Bei diesem Vergleich hätte Kouri beinahe gekichert. Auf dem Rücken zog sich eine lange entstellende Narbe.

Ein Fremder, stellte Kouri fest. Fremde waren hier auf der Insel eine Seltenheit. Und dieser hier war ein sehr seltsamer Fremder. Wie sein nackter muskelbepackter Oberkörper bewies war er sicher männlich, aber er hatte eine haarlose Brust, wie die einer Frau. Ebenso haarlos war sein Gesicht! Zusätzlich trug er ein Kopftuch, wie seine Mutter, wenn sie das Haus putzte. So eng, wie dieses am Kopf anlag, konnten sich auch dort kaum Haare darunter verstecken. An den Händen, Ohren und der Nase funkelte goldener Schmuck, der seine Mutter vor Neid erblassen lassen würde.

Der Fremde fluchte in einer Kouri unbekannten Sprache und schleuderte die Schaufel von sich. Er fiel auf die Knie und buddelte mit beiden Händen weiter. Als ob er mit den Händen schneller war als mit einer Schaufel. Der Sand würde seine Haut aufrauen und alle Flüssigkeit entziehen bis sie blutete. Kouri wusste das, er hatte genügend oft mit blossen Händen im Sand gegraben.

Wie Kouri vorausgesehen hatte hörte der Fremde sehr schnell damit auf, mit den Händen zu graben. Er reckte seinen Kopf gegen den Himmel und bedeckten mit seinen Händen sein Gesicht.

Ohne Vorwarnung oder dass Kouri ein Geräusch gemacht hätte fuhr der Kopf des Fremden nach links. Sein Blick traf Kouris. Kouris Muskeln spannten sich. Wie eine Maus, die von einer Katze beobachtet wurde, war er bereit, jederzeit das Weite zu suchen.

Der Fremde lächelte breit, dabei entblösste er mehrere Zahnlücken. Das Lächeln konnte Kouri nicht über seinen stählernen Blick hinwegtäuschen. Kouri machte einige Schritte rückwärts. Der Fremde hob die Hand. Kouri erstarrte.

„Aye!“ Die Stimme des Mannes klang heiser und trocken. Als Kouri nichts erwiderte fragte der Mann: „Gibt es irgendwo Wasser?“ Er sprach mit einem schwer zu verstehenden Akzent.

Kouri war verwirrt. Der Mann war am Meer. Es gab bis zum Ende der Welt Wasser. Kouri zeigte auf das Meer hinter dem Fremden. Dieser drehte sich um. Als er wieder Kouri anschaute, schüttelte er den Kopf und wiederholte: „Wasser…. Trinken?“ Dabei führte er eine Hand zum Mund.

Da verstand Kouri die eigentliche Frage und nickte: „Im Dorf gibt es einen Brunnen.“

Der Mann machte mit der Hand eine fliessende Bewegung ehe er sagte: „Bach?“

Kouri nickte wieder, zeigte in eine Richtung und antwortete kleinlaut: „Zum Bach sind es etwa zwei Stunden laufen in diese Richtung.“

Der Mann nickte bedächtig und presste seine spröden Lippen aufeinander.

Der Mann musste wirklich beinahe am erdursten sein. Kouri nahm seinen Trinkbeutel vom Gurt. Ehe er dem Fremden diesen zuwarf, nahm er einen kleinen Schluck.

Geschickt fing der Fremde den Trinkbeutel auf. Dankbar nickend lächelte er Kouri an.

Kouri hätte erwartet, dass er seinen Trinkbeutel gierig leeren würde. Er hätte es jedenfalls so gemacht. Aber der Mann benetzte zuerst nur seine Lippen mit dem Wasser. Dann nahm er zwei Schlücke ehe er den immer noch fast vollen Trinkbeutel zurück warf.

Erstaunt fragte Kouri: „Warum hast du nur zwei Schlücke genommen?“

„Besser so. Nicht das erste Mal Durst. Auf See, Wasser immer zu wenig.“

Kouri nickte. Er glaubte zu verstehen. Trotzdem fragte er: „Bist du ein Seemann?“

Bei dem Wort Seemann lächelte der Fremde breit, als ob Kouri einen guten Witz erzählt hatte. Er nickte jedoch bestätigend und wiederholte: „Aye, Seemann!“

„Tragen alle Seemänner solche Kleidung?“, fragte Kouri mit aufrichtiger Neugier.

Der Mann schaute an sich hinunter und schüttelte den Kopf. Mit einem verwegenen Lächeln antwortete er: „Nein. Nur die Freien!“

„Also tragen alle freien Seemänner solche Sachen?“

Der Mann nickte bestätigend.

„Warum?“

Der Mann zeigte auf seine Hose: „Luftig! Falls ich ins Wasser falle, ich nicht sinken.“ Dann zeigte er auf sein Kopftuch: „Zu viel Sonne ist nicht gut für Kopf,“ zum Schluss zeigte er auf ein weisses Leinenhemd welches im Sand lag und ergänzte, „oder für die Haut.“

Kouri musterte den Mann. Erst da fiel ihm auf, dass seine Haut zwar ledrig und sonnengegerbt war, aber eigentlich viel heller als seine eigene. Er nickte. Er hatte verstanden.

Ohne dass der Seemann Kouri die Gelegenheit liess, eine weitere Frage zu stellen, nahm er seine Schaufel und grub weiter. Kouri setzte sich hin und beobachtete ihn eine Weile. Als der Mann sich erschöpft auf die Schaufel stützte, hob Kouri fragend seinen Trinkbeutel. Sein Gegenüber nickte dankbar.

Kouri nutzte die Pause um weitere Fragen zu stellen. Er hatte noch einige auf Lager: „Warum hast du keine Haare?“

Der Mann zeigte auf seinen Arm. Dort sah Kouri feine dunkle Haare. Kouri schüttelte den Kopf und zeigte auf diesen, fuhr sich über das Kinn und klopfte sich danach auf die Brust.

„Aye!“ Der Mann nickte und sprach: „Keine Haare, keine Läuse!“

Eine einfache und nachvollziehbare Erklärung. Vielleicht hatte der Seemann auf die nächste Frage eine ähnlich logische Erklärung: „Und warum trägst du so viel Schmuck?“

Der Mann überlegte lange. Er schien nach dem passenden Wort zu suchen ehe er unsicher stotterte: „Versicherung?“

Kouri verstand nicht: „Versicherung?“

Der Mann nickte eifrig: „Wenn ich tot, ich keine Familie. Ich wahrscheinlich einfach über Bord gehe. Ich werde irgendwo angespült. Niemand mich kenne. Die Schmuck nehmen und daraus Begräbnis bezahlen. Der Rest ein Dankesgeschenk.“

„Und wenn sie nur den Schmuck nehmen?“

Er spuckte auf den Boden: „Sie dann ehrlos!“ Dabei wurden seine Gesichtszüge mürrisch.

Die Wut schien dem Seemann Energie zu verleihen. Mit frischem Elan grub er sein Loch weiter.

Ungeduldig wartete Kouri auf die nächste Gelegenheit, Fragen zu stellen. Eigentlich müsste er sich bald auf den Rückweg machen. Die Sonne stand bereits in der Mitte und brannte auf den Strand hinunter. Um diese Zeit spendeten die Palmen kaum noch Schatten. Seine Mutter würde sich bestimmt Sorgen machen. Aber er konnte noch nicht gehen. Er hatte noch eine wichtige Frage.

Bei der nächsten Gelegenheit, der Seemann wischte sich lediglich kurz den Schweiss von der Stirn, platzte diese aus ihm heraus: „Was machst du hier?“

Der Fremde streckte sich durch und taxierte Kouri mit seinem Blick: „Ich habe verloren etwas. Jetzt suche ich.“

Kouri hatte bereits mit einer Antwort dieser Art gerechnet, daher kam die nächste Frage wie aus der Pistole geschossen: „Bist du sicher, dass du es hier verloren hast? Es gibt hier mehrere Inseln mit Stränden und Palmen wie diese.“ Kouri zuckte mit den Schulter.

Der Fremde dachte darüber nach und nickte dann: „Aye!“

Kouri wusste nicht ob der Fremde ihn oder sich selber bestätigt hatte. Es war jetzt endgültig an der Zeit nach Hause zu gehen. Ohne sich zu verabschieden ging er davon. Den Wasserschlauch liess er zurück. Der Fremde hatte ihn nötiger als er. Nach einigen Metern drehte er sich nochmals um und stellte erfreut fest, dass sich der Suchende von seinem Loch entfernte. Kouri war überzeugt, dass der Fremde nach weiteren vergleichbaren Plätzen suchen würde.



Kouri war mit seinen Eltern am Abendessen. Er hatte zu wenig Krebse heimgebracht, daher hatte seine Mutter diese wieder freigelassen und sie assen einen einfachen Eintopf.

„Was hast du heute Schönes erlebt?“, wollte Kouris Vater wissen und schaute ihm dabei mit seinem warmen Blick direkt in die Augen. Kouri wusste, sein Vater war nicht böse, dass er nicht genügend Krebse nach Hause gebracht hatte.

Kouri schob sich einen Löffel Eintopf in den Mund ehe er kauend antwortete: „Ich war am Strand.“

Sein Vater nickte und wartete geduldig bis Kouri weiter sprach.

Er schluckte den Eintopf hinunter und fuhr fort: „Ich habe den Piraten getroffen, dessen Schatz du gefunden hast.“

Kouris Mutter liess erschrocken ihren Löffel fallen, schaute von ihrem Mann zu Kouri und wieder zurück.

Sein Vater runzelte die Stirn und fragte nach: „Woher weisst du, dass es sein Schatz war?“

„Er hat dort gegraben und gesagt er hätte was verloren?“

„Du hast mit ihm gesprochen!“

„Ja!“

„Das war gefährlich! Du sollst nicht mit Fremden am Strand sprechen. Sobald du jemanden siehst, sollst du ins Dorf kommen und Bescheid geben“, ermahnte seinen Vater ihn.

„Ja, Vater.“ Kouri schaute beschämt in seinen Teller.

„Hast du ihm gesagt, dass wir seinen Schatz haben?“

Kouri schüttelte empört den Kopf: „Natürlich nicht!“ Nach kurzem Räuspern fuhr Kouri weiter: „Ich hab ihm gesagt es gibt hier viele Inseln mit Stränden wie diese. Ich hoffe er sucht jetzt an einem anderen Ort nach seinem Schatz.“

Sein Vater klopfte ihm zufrieden auf die Schulter. „Was du doch für ein schlauer Junge bist“, stellte er fest und Kouri konnte deutlich den Stolz heraushören.

Sie assen still den Eintopf weiter, aber Kouri hielt es nicht lange aus: „Papa?“

„Ja, mein Sohn?“

„Weisst du warum Piraten so viel Schmuck tragen?“


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