Zehnter Zuktur , 1320
Geschätztes Tagebuch
Lange habe ich mit mir gehadert, aber die Entscheidung ist nun endlich getroffen. Ich bin es Leid! Ich werde heute Nacht mein Zuhause verlassen.
In meiner Familie gibt es nur zwei gangbare Wege. Entweder wird man vom Großen Alten erhört und er schließt einen Pakt mit einem. In diesem Fall wird man unter die Fittiche der Hexenmeister genommen und lernt wie man die Geschenke des Großen Alten am Besten nutzt. Doch leider hat er mich für diesen Weg nicht auserkoren.
Man hatte mich für einen ganzen Tag und eine ganzen Nacht in die Katakomben unseres Familienanwesens gesperrt. Die Dunkelheit frass sich in alle Ritzen und dehnte die Zeit bis ins Unendliche. Ich habe eigentlich keine Angst vor der Dunkelheit, aber nach ein paar Stunden spielten meine Sinne verrückt und ich sah, trotzdem der Finsternis, Dinge, die ich eigentlich nicht sehen konnte. Jedes Geräusch wurde so zu einem Monster.
Um mich abzulenken habe ich meditiert, gebetet und zum Schluss auch gefleht, aber der Große Alte blieb stumm. Ich hatte gehofft, dass der Große Alte mit mir einen Pakt schliessen würde. Von den beiden vorgeschriebenen Wegen, war dieser defintiv die bessere Option.
Ich will mich nicht als Spionin, Auftragsmörderin oder Diebin verdingen. Verstehe mich nicht falsch, ich habe keine Angst vor den rechtlichen Konsequenzen. Die Menschen unserer Stadt fürchten uns. Unsere Familie hat es geschafft in Malbaliran der Kopf der Schattengilde zu werden. Sie hat praktisch in allen unlauteren Geschäften ihre Hand im Spiel. Bordelle zahlen uns ein Zehntel ihrer Einnahmen, als Gegenleistung kümmern wir uns darum, dass sie von der Stadtwache unbehelligt bleiben. Gleiches gilt für Glückspiellokale, Schmuggelware und so weiter. Will jemand etwas gestohlen haben, kommt er zu uns, und wir teilen ihm einen Dieb zu. Kein Malbaliraner würde öffentlich zugeben, dass die Familie Ras’ntal, eine Familie von Tieflingen, um die jeder anständige Bürger einen großen Bogen macht, mächtiger ist als alle Stadträte zusammen. Aber so ist es nun mal.
Doch die Dieberei und Meuchlerei, reizt mich nun wirklich nicht. Hinterhalte legen, verstecken und so viel lügen, dass man selber nicht mehr weiß, was wahr und was falsch ist. Was nützt einem Macht und Respekt, wenn man alleine ist? Meine Familie würde sagen, dass ich nicht alleine bin, da ich ja meine Familie habe. Aber als jüngstes von vier Geschwistern, bin ich aufgewachsen ohne einen Spielkameraden zu haben. Stattdessen wurde ich von klein auf darauf gedrillt Türschlösser zu öffnen, Bogen zu schießen und kleine Taschendiebtricks zu lernen. Ich fühle mich nicht als Teil dieser Familie, sondern als Werkzeug. Meinen Platz in der Familie müsste ich mir erst hart erkämpfen.
Hexenmeister hingegen müssen sich nicht verstecken. Ihre Macht ist in ganz Malbaliran berüchtigt und wenn man in der Gunst des Großen Alten steht wird man entsprechend gewürdigt. Meine Tante Narilla zum Beispiel, hat vom Großen Alten als Dank für ihre Dienste einen Zauber geschenkt bekommen, mit dem sie einen Vertrauten finden kann. Sie fand einen kleinen vorwitzigen Imp, den sie liebevoll Seschi nannte. Oftmals beschwert sie sich, er sei zu nichts zu gebrauchen, er mache nur Witze über sie, aber wenn sie sich unbeobachtet fühlt steckt sie ihm kleine Leckereien zu. Sie mag ihn, dass ist nicht zu übersehen. Er ist ein Freund, der sie nicht verraten kann. Treu, vielleicht nur durch den Zauber gebunden, aber daher auch über jeden Zweifel erhaben. So einen Freund wünsche ich mir auch. Und jetzt soll ich einen Weg einschlagen, der es anderen fast unmöglich machen wird, mir zu vertrauen und eine Freundschaft aufzubauen. Zumal meiner Familie und Tieflingen ohnehin schon Misstrauen entgegengebracht wird.
Aber ich bin es leid! Ich werde heute Nacht, mit meiner Familie brechen und meinen eigenen Weg gehen. Ich werde Malbaliran verlassen und in den Wäldern den legendären Hirschmann suchen gehen. Er soll auf dem Kopf ein Hirschgeweih tragen und vor den Bewohnern Malbaliran genau so scheu wie ein Reh sein. Der Legende nach soll er ein mächtiger Druide sein, der den Wald und seine Bewohner hütet. So ein Mann muss den ganzen Wald als Freund haben, tausende von Lebewesen. Vielleicht, wenn ich mich als nützlich erweise, weiht er mich in das Geheimnis Freundschaften schließen zu können ein.
Heute Nacht werde ich gehen, ich möchte nicht von fliehen schreiben, da ich keine Gefangene meiner Familie bin. Ich hoffe die Götter mögen meinen Weg erleuchten.
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